Was bedroht uns?

541 brach im ägyptischen Pelusion eine bislang unbekannte Krankheit aus. Die Menschen litten an Fieber, doch zu Beginn schienen die Infektionen harmlos zu verlaufen. Bald darauf sah man aber bei den Erkrankten Schwellungen an der Achselhöhle. Während die einen bewusstlos wurden, verfielen andere in Raserei; einige waren von schwarzen Blasen übersät und verstarben bald, bei anderen begannen die Beulen zu eitern. Genesene litten nach der Erkrankung mitunter an Sprachstörungen oder abgestorbenen Gliedmaßen. 

Die Seuche breitete sich rasend schnell aus. Von Ägypten gelangte sie über die Küsten ins Hinterland und erreichte schließlich Konstantinopel, wo sie mindestens vier Monate lang wütete. Der Geschichtsschreiber Prokop spricht von zunächst 5.000, dann 10.000 und mehr Toten am Tag. Er berichtet von der dramatischen Lage: Es habe nicht mehr genug Lebende gegeben, um die Toten zu bestatten. Die Bevölkerung hätte sich in ihren Häusern verbarrikadiert. Wenn man dann doch einen lebenden Menschen auf der Straße erblickte, habe er eine Leiche getragen. Johannes von Ephesos, der in dieser Zeit das Reich bereiste, berichtet von aufgegebenen Dörfern, totem Vieh auf den Weiden und fürchtete jeden Tag, dass ihn auch bald selbst der Tod ereilen würde. 

Gemälde: "Die Pest" – Arnold Böcklin, 1898
TEXT Das Ausmaß
der Seuche

Einzuschätzen wie viele Menschen der Krankheit zum Opfer fielen ist nicht leicht. Die Angaben zeitgenössischer Autoren sind notorisch ungenau. Zudem folgen antike Geschichtsschreiber ihren Vorbildern. Auch Prokop übernimmt Teile der Darstellung einer Epidemie in Athen, die sich fast ein Jahrtausend zuvor ereignet hat. Dennoch: nicht nur weitere Schriftquellen, sondern auch archäologische Befunde deuten darauf hin, dass nicht nur das gesamte Reich heimgesucht wurde, sondern selbst Randzonen nicht verschont blieben. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung ihr Leben ließ.

Grafik: Verbreitung des Rattenflohs

Wer sind wir?

Die Pest hatte das Imperium Romanum in ihrem harten, erbarmungslosen Griff. Sie traf auf eine bereits verunsicherte und geschwächte Bevölkerung. Man stand der Krankheit ratlos gegenüber. Sie schien jeden zu ereilen, unabhängig von Rang, Einfluss, Frömmigkeit oder Lebensweise. Die Pest schien einen Landstrich erst wieder zu verlassen, nachdem sie einen hohen Blutzoll gefordert hatte. Doch wenn man glaubte, alles überstanden zu haben, kehrte sie nur zu oft umso unerbittlicher wieder zurück. 

Viele Zeitgenossen sahen auch unter dem Eindruck vorangegangener Katastrophen die Apokalypse, also das Ende der Welt und die Rückkehr des Heilands, nahen. Doch wurde diese Erwartung enttäuscht, was die ohnehin herrschende Unsicherheit zuspitzte. Selbst Männer, die eigentlich in ihrem Glauben gefestigt waren, begannen zu zweifeln. Wenn aber die Apokalypse nicht eintrat, sondern immer nur neues Leid die Menschen heimsuchte, wie ließen sich diese Übel dann erklären? War es die Strafe Gottes, herbeigerufen durch einen schlechten Kaiser? Von nicht Wenigen wurde er verantwortlich gemacht, zumal er selbst 542 an der Pest erkrankt war und es zunächst so aussah, als würde er die Krankheit nicht überleben. 

Hintergrundbild und Collage: Ölgemälde "The plague of the Philistines at Ashdod" –
Pieter van Halen, 1661.
TEXT Evagrius and
Simeon Stylites
Er sah meine Gedanken nach dem Verlust meiner Kinder, als ich mich fragte, warum solches Unglück nicht den Heiden, die viele Kinder hatten, widerfuhr, und obwohl ich niemandem etwas davon gesagt hatte, schrieb er mir, ich sollte diese Gedanken lassen, da sie Gott nicht gefielen. 
Euagr. Hist. Eccl. 6,23
quotes

Der Kirchenhistoriker Euagrios, der als Kind selbst an der Pest erkrankt war, verlor durch die Krankheit später seine Frau, viele seiner Kinder, Verwandte, zahlreiche Haus- und Landsklaven und schließlich eine weitere Tochter und Enkel. Warum aber gab es, so fragte er sich heimlich, Heiden, die keineswegs von der Krankheit betroffen waren, während er als rechtgläubiger Christ so viel hatte erdulden müssen? Wie die Lebensgeschichte des Säulenheiligen Simeon und auch Euagrios selbst berichten, habe der Heilige, der durch göttliche Eingebung von den Glaubenszweifeln erfahren hatte, den Kirchenhistoriker wieder auf den rechten Pfad geführt.

Was brauchen wir?

Justinian stand unter Druck. Erschwerend kam hinzu, dass bereits unter seinen Vorgängern die Kaiserwürde immer stärker christlich-religiös aufgeladen worden war und er selbst ausdrücklich betont hatte, von Gott eingesetzt zu sein. In der Forschung wird dieser Prozess als Sakralisierung bezeichnet. So war eine Situation entstanden, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Der Kaiser benötigte dringend Mittel, seine von Tag zu Tag prekärer werdende Stellung wieder zu festigen. Seine verunsicherten Untertanen aber brauchten Führung und ein Heilsversprechen, an das sie glauben konnten; denn die althergebrachten Deutungsmuster versagten.

Zeichnung: Detail aus einem Medaillon von Justinian I.

Was tun wir?

Zu anfangs begegneten die Menschen dem Übel mit den damals gängigen Mitteln: Man hielt Bußprozessionen ab oder suchte Schutz bei heiligen Männern. Doch als sich beides wirkungslos zeigte, ergriffen die Menschen drastischere Maßnahmen: Mitunter lesen wir von berufsmäßigen Kriminellen, die aus Angst zum Glauben gefunden und von ihrem schändlichen Treiben abgelassen hätten – allerdings nur für kurze Zeit. Das Gegenteil war vielleicht häufiger: Die Einwohner*innen Konstantinopels warfen aus Aberglaube Tongefäße aus den Fenstern, was angeblich vor der Krankheit schützen sollte. Teilweise entlud sich Wut gegenüber den geistlichen Würdenträgern und den Repräsentanten der Religion: Heilige Männer wurden von ihren Säulen gezerrt, Mönchen begegnete man plötzlich mit Argwohn. 

Dem Kaiser blieb kaum etwas anderes übrig als den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und seine Nähe zu Gott noch ausdrücklicher durch Gebet, Askese und frommes Handeln zu betonen. Hinzu traten ganz irdische Maßnahmen: So suchte Justinian die aufgrund der Entvölkerung ganzer Landstriche entstandene Unterversorgung abzumildern. Auch traf er Vorkehrungen, Heer und Reichsverwaltung funktionsfähig zu halten. Die Bewahrung von Reich und Kirche gelang, doch ein halbes Jahrhundert lang sollte die Seuche immer wieder ausbrechen.

TEXT Feindseligkeit
gegen heilige Männer
Wenn ein Mönch oder ein Kleriker erschien, schrien sie auf und flohen in der Annahme, es handle sich um den leibhaftigen Tod, der sie vernichten würde.
Joh. Eph. Hist. Eccl. = Ps.-Dionysius,
Chronik von Zuqîn z. J. 543/4 = p. 108 Witakowski
quotes

Johannes von Ephesos überliefert in seiner Kirchengeschichte, die als Fragment erhalten ist, zahlreiche abergläubische und sündhafte Praktiken zur Zeit der Pest. Aus dieser moralisch aufgeladenen Schrift stammt der folgende Ausschnitt.

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